Pferde früher und heute
Pferde und Menschen leben seit Urzeiten nebeneinander.
Seit vielen Jahrtausenden sind Menschen und Pferd voneinander abhängig, teilen ihr Leben und beeinflussen sich gegenseitig.
Solange Pferde als Nahrung gejagt oder halbwild gehalten wurden, hat man sie vermutlich behandelt wie Schafe, Rinder oder Ziegen. Sie wurden gehetzt oder in Fallen getrieben, später in Pferchen
gehalten und auf die Weide getrieben, gefüttert und getränkt. Sie dienten als lebende Fleischreserve und wurden geschlachtet, wenn man Fleisch brauchte. In vielen Gegenden wurden die Stuten
gemolken.
Durch ihre Größe, ihre Stärke und ihre wilde Natur beeindruckten Pferde die Menschen früherer Zeiten. In Nordeuropa wurden in „heiligen Hainen“ heilige weiße Pferde gehalten. Sie waren Ziel
religiöser Verehrung oder Opfertier. Auch die Höhlenmalereien der Steinzeit zeigen immer wieder Pferde. Diese wilden Tiere müssen den damaligen Menschen sehr wichtig gewesen sein.
Etwa 8000 Jahre nach dem Hund wurden die ersten Hauspferde gehalten. Aus der Zeit um 4000 v.Chr. fand man in Sibirien Knochenreste von Hauspferden, Teile von Trensen und deren Schleifspuren an
fossilen Pferdezähnen. Schon in dieser Zeit sind Pferde also vermutlich geritten worden. Pferde ermöglichten dem Menschen zum ersten Mal in seiner Geschichte, weiter und schneller zu reisen, als die
eigenen Füße trugen. Weitere 1000 Jahre sollten vergehen, bis auch in Mitteleuropa Hauspferde gehalten wurden. Frühe Migranten importierten das Wissen um den Umgang mit diesen Tieren und
brauchten gezähmte Hauspferde mit.
Im Laufe der Zeit lernte man die Kraft der Pferde gezielt einzusetzen. Mit dem Pferd konnte man Waren transportieren, den Acker bestellen und weite Strecken zurücklegen. Manche Pferde begleiteten
eine Familie jahrelang.
Als Fortbewegungsmittel und Kriegstier taten Pferde über Jahrtausende ihren Dienst.
Krieger lernten, ihre Feinde vom Rücken eines Pferdes oder vom Streitwagen aus zu bekämpfen. Zu diesem Zweck wurden Steigbügel und Gebisse erfunden, Sättel verbessert. Ungezählte Pferde ließen in
unzähligen Kriegen ihr Leben.
Ersten Pferdesport gab es auch schon in der Antike. Die Römer nutzten Pferde für Wagenrennen und Schaukämpfe.
Das Leben bei den Menschen veränderte die Pferde. Die ersten Hauspferde waren kleiner als die Wildpferde. Die Menschen mussten erst lernen, sie richtig zu halten, zu ernähren und zu züchten.
Durch veränderte Lebensbedingungen und gezielte Zucht bildeten sich Rassen heraus. Im wärmeren Süden waren es eher zierliche, flinke Typen, im kälteren Norden eher robuste, massigere Tiere. Ihrer
aller Stammvater ist das späteiszeitliche Steppenwildpferd (Equus przewalskii), das zur Zeit der Besiedlung Europas durch den modernen Menschen vermutlich in verschiedenen Regionalformen
(Steppentarpan, Waldtarpan u.a.) existierten. Reste dieser Populationen bestehen in ursprünglichen Pony- und Pferderassen (Konik, Mongolisches Wildpferd, Sorraia u.a.) weiter.
Die unterschiedliche Verwendung als Schlachttier, Arbeitspferd, Kriegspferd oder Kutschpferd ließ Zuchtrichtungen mit unterschiedlichem Knochenbau und unterschiedlicher Größe entstehen.
In der Obhut des Menschen konnten sogar Tiere mit Behinderungen oder Krankheiten überleben. Besonders weiße oder gescheckte Tiere, in der Natur viel zu auffällig und leichtes Opfer von Räubern,
faszinierten die Menschen und wurden gezielt gezüchtet.
Auf diese Weise veränderten sich die Rassen nicht immer nur zum Vorteil der Tiere.
In der Landwirtschaft wurden Pferde zur Arbeit eingesetzt. Dazu sollten sie stark sein, nicht zu groß und ein ruhiges Temperament haben. Solche Tiere waren leichter zu handhaben und brauchten weniger
Futter. Sie sollten einen freundlichen Charakter haben und bei der Arbeit mitdenken. Kaltblüter bei der Waldarbeit oder Hirtenpferde können das auch heute noch.
Erst für die Ritter (das Wort bedeutet nichts anderes als „Reiter”) in ihren schweren Rüstungen des Mittelalters waren größere, schwere Pferde notwendig. Die alten Landrassen wurden weiter in der
Landwirtschaft eingesetzt.
Die Reichen und Adeligen ritten ruhige, ausgeglichene Reitpferde mit dem besonders angenehmem Tölt-Gang, der den Reiter nicht durchschüttelt. Solche “Zelter” waren trittsicher, bequem und auch von
Damen zu reiten. Besondere Ereignisse und Feste wurden durch Ritterspiele zu Pferd zum sportlichen und gesellschaftlichen Spektakel.
Für Kriegspferde waren Wendigkeit und Schnelligkeit entscheidend. Nur ein Pferd, dass sich willenlos seinem Reiter unterwirft, konnte in den Kampf geritten werden.
Je länger die Handelswege und damit die Reisewege, umso leistungsfähigere Wagenpferde brauchte man. Es reichte nicht mehr, das Ackerpferd vor einen Wagen zu spannen und in die nächste Stadt zu
fahren. Weite Strecken konnten nur in einem System aus Gasthäusern mit Pferdewechselstationen überwunden werden. Für die Reisewagen brauchte man willige Pferde von einheitlicher Größe, die vor jedem
Wagen gehen und von jedem Kutscher gelenkt werden konnten.
Der Besitz eines Pferdes zeigte bis ins 20. Jahrhundert den Wohlstand einer Familie. Ärmere Leute hatten Ochsen , Ziegen oder Esel, Wohlhabende konnten sich ein Pferd leisten. Wer wirklich gut
gestellt war, konnte sich sogar für jede Aufgabe besondere Pferde halten: schwere Arbeitspferde für die Feldarbeit und schwere Wagen, etwas leichtere Warmblüter als Kutschpferde, elegante
Pferde als Reitpferde für den Herrn. Die Damen bevorzugten vielfach die Kutsche.
Reiche Leute konnten zum Vergnügen Jagden reiten, Polo spielen, über ihre Besitzung oder durch den Park reiten, Rennpferde halten oder Pferderennen zuschauen. Exotische Vollblutpferde aus Afrika
wurden für Pferderennen eingesetzt, die gesellschaftliche Ereignisse waren.
Pferde waren zum Statussymbol geworden. Auch in großen Städten wurden Pferde gehalten. Sie zogen Kutschen, Transportwagen, Bierwagen, Pferdeomnibusse, Straßenbahnen, Müllwagen, Leichenwagen und viele
andere Gefährte. Die meisten dieser Tiere lebten unter sehr schlechten Bedingungen in Hinterhöfen und Kellern.
Im Bergwerk wurden kleine Ponys eingesetzt. Sie zogen schwere Wagen mit Kohle oder Erz durch die Stollen. Viele sahen ihr Leben lang kein Tageslicht.
Siedler zogen zunächst mit Pferd und Wagen in ihre neue Heimat, bis das Eisenbahnnetz ausgebaut war. Das war in Amerika, aber auch in Russland, Asien oder Afrika so. Selbst zum Südpol sollten Ponys
den Menschen bringen. Die Tiere verloren dabei ihr Leben.
In den beiden großen Kriegen des 20. Jahrhunderts wurden noch zahlreiche Pferde eingesetzt. Sie starben auf dem Kampffeld. Heute sind Panzer, Geländewagen und Lastwagen effektiver, billiger und
schneller. Für die Menschen wurde der Krieg dadurch nur noch grenzenloser und grausamer.
In den 1960er Jahren sah es schließlich so aus, als hätten die Pferde ausgedient. Maschinen, Traktoren und Autos hatten ihre Arbeit übernommen. Man befürchtete sogar, dass die Pferde aussterben
könnten.
Nur im Ausnahmefall erinnern sich Landbewohner heute ihrer ehemaligen Arbeitsgefährten. Zeiten der Wirtschaftskrise und unerschwingliche Treibstoffkosten ließen in den letzten Jahren in den ärmeren
Gebieten der Erde die Nachfrage nach Last- und Reittieren in die Höhe schnellen. In abgelegenen Regionen Europas waren fast keine Esel oder Pferde mehr zu bekommen. Wie sich der Nutztier-Markt in
einer nach reich und arm getrennten Welt weiterhin auf die Pferdepopulation auswirken wird, bleibt abzuwarten.
Erfahrungsgemäß kommen in Krisenzeiten wie auch bei verstärkter modebedingter Nachfrage vermehrt qualitativ minderwertige Tiere auf den Markt. Für die Pferde heißt das, sie entstammen unplanmäßiger
Vermehrung und Vermarktung und sind oft mit schwerwiegenden Krankheiten oder schweren Verhaltensstörungen behaftet.
Die lange Verbindung des Menschen mit dem Pferd war jedoch auch in den Industrieländern viel tragfähiger als in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs zunächst gedacht. Als Arbeitstiere verschwanden
die Pferde weitgehend, als Freizeitpferde überlebten sie in einer nie geahnten Vielfalt.
Immer mehr Menschen entdeckten das Pferd als Freizeitpartner. Es ist heute eine unserer letzten Verbindungen zur Natur.
Reiter sahen überall in der Welt verschiedene Pferderassen. Sie brachten diese Tiere nach Europa. Einige beherrschten besondere Gänge, sahen anders aus, hatten Vorzüge gegenüber heimischen
Warmblutrassen. Vor allem Freizeitreiter finden in der Rassenvielfalt genau das Tier, das ihrer persönlichen Vorstellung und dem gewünschten Verwendungszweck entspricht.
Aus Island kamen kleine Pferde, die weniger Angst einflößten und ruhiger waren als große Warmblüter. Aus Südamerika wurden Pferde mit besonderes bequemen Gangarten importiert. Man entdeckte die Ruhe
und Ausgeglichenheit alter Land- und Arbeitspferderassen aller Kontinente wieder. In den letzten Jahren wächst sogar wieder das Interesse an schweren Kaltblütern - und auch an Eseln.
Mit der neuen Verwendung der Pferde änderte sich auch die Anforderung an die Tiere. Für ein Militärpferd ist absoluter Gehorsam überlebenswichtig. Ein Rückepferd muss für die Arbeit im Wald gehorsam
sein, aber auch selbständig arbeiten und mitdenken können. In der Landwirtschaft muss ein Pferd genügsam, freundlich und ruhig sein.
Das Pferd des Freizeitreiters muss vor allem lernen, einer immer wieder neuen Umwelt sicher gegenüber zu treten.
Heute sind Wege und Straßen asphaltiert, Landmaschinen und Busse riesige Ungeheuer, Eisenbahnlinien, Schnellstraßen und Autobahnen fast unüberwindbare Barrieren. Autofahrer wissen nicht mehr, wie sie
sich Pferden gegenüber verhalten müssen. Das ist eine schwierige Lebensumwelt für Pferde.
Verschiedene Reitweisen verlangen besondere Ausrüstung. Standardsättel, die ein Leben lang halten und auf jedem Pferd benutzt werden, passen nicht auf die sehr unterschiedlichen Rücken der
Freizeitpferde. Mit den fremden Rassen kam auch neue Ausrüstung nach Europa.
Selbst die Behausung des Pferdes wandelte sich. Der dunkle Stall eines Bauernpferdes, in dem es die Nacht nach einem arbeitsreichen Tag verbringen musste, ist für ein Freizeitpferd ohne regelmäßige
Beschäftigung oder ein Pony mit langem Winterfell nicht artgerecht.
Es entwickelte sich eine ganze Industrie rund um das Hobby „Pferd“. Stellenweise führt das zu geradezu absurden Entwicklungen. Showeffekte werden höher eingeschätzt als die Gesundheit der
Tiere.
Einige Neuerungen und Ausrüstungs-Vorschriften dienen jedoch der Sicherheit von Pferd und Reiter.
In den letzten Jahren kamen Zweifel auf:
Haben all die Ausrüstungsgegenstände und Traditionen - wie Sporen, Trensen und Kandaren, Hufeisen, Sättel unterschiedlichster Bauart, Reitlehrer mit Befehlston, Boxenhaltung oder die Fütterung mit
Getreide - auch vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ihre Berechtigung?
Neuere Forschungen belegen, dass warme Ställe, die veränderten Weiden, Gebisse, Hufeisen und auch viele Sättel dem Pferd mehr schaden als nützen.
Auch die Umwelt hat sich stark verändert. Dem muss unser Verhalten und der Umgang mit dem Pferd angepasst werden.
Muss im Sinne der Tiere umgedacht werden?
Was muss sich in der Reiterei verändern, um den Tieren besser gerecht zu werden?
Das breite Angebot an bonbonfarbenen Satteldecken, Gamaschen und Halftern, schicker Turnierkleidung und Spielzeugen für Pferde lässt wirklich praktische, alltagstaugliche Kleidung für
Pferdehalter und Hilfen zu einer artgerechten Haltung der Tiere gewöhnlich vermissen.
Die „offizielle” Reitsport-Szene, ihre Organe in Form von Verbänden und Zeitschriften, sogar Kataloge der großen Reisport-Ausstatter stellen an Menschen, denen ein Pferd mehr als ein Sportpartner
ist, mehr Fragen als sie Antworten bietet.
Jeder Pferdefreund muss am Ende selbst herausfinden, was ein Pferd für ihn bedeutet und wie es in sein Leben passt.