Rassen und Eignung
Die Passung zwischen Reiter und Pferd ist vielfältig. Jede Kombination wird man vorfinden: den ruhigen Reiter auf einem hektischen Pferd oder auf einem eher phlegmatischen, das ängstliche Pferd unter
einem starken Mann oder einer mitfühlenden Frau, Menschen mit hochgezüchteten oder ursprünglichen Pferden, durchsetzungsfähige Kinder oder auch solche, die die Grenzen zur Gewalt nicht kennen, kleine
Mädchen mit großen Pferden und große Jungs mit kleinen Ponys...
Es ist wie im „richtigen Leben“: Die Charaktere zwischen Pferd und Reiter ähneln einander oder bilden konstruktive Gegensätze. Beides kann zu einer guten Beziehung führen.
Das Äußere von Pferd und Reiter spielt sicherlich insofern eine Rolle, als dass die Größe des Reiters zu der des Pferdes einigermaßen passen muss.
Glücklicherweise sind wir weitgehend jenen Zeiten entwachsen, in denen als „Pferd“ für Erwachsene nur das meist einheits-braune Warmblut akzeptiert wurde und auch keine alternativen Rassen verfügbar
waren.
Heute kann man auch als Erwachsene/r durchaus mit einem langhaarigen Pony glücklich werden. Dies kann als Verdienst vor allem der Reiterin und Autorin Ursula Bruns (* 1922) und direkte Folge der
„Immenhof“-Filme der 1950er Jahre angesehen werden.
Heute gibt es unzählige Pferderassen, deren Eigenschaften und Eignung selbst Kenner der Szene kaum im Detail kennen kann.
Wer mit Pferden umgeht, weiß meist früh, zu welchem Pferdetyp er tendiert, welches sein Traumpferd werden könnte: eher ein kleines, stämmiges Pony oder ein springbegabtes Warmblut, ein
leistungsstarkes Vollblut oder ein Riesenkaltblut mit Nerven aus Stahl.
Aber Vorsicht: Charakter und Eignung jedes einzelnen Tieres einer Rasse können sich auch wesentlich von anderen Rassevertretern unterscheiden. Nur auf die Zugehörigkeit zu einer Rasse sollte man sich
bei einem Kauf niemals verlassen.
Im Idealfall begegnen sich Mensch und Tier und beide spüren auf den ersten Blick oder den zweiten Kontakt, ob es „passt“. Leider erkennen die Pferde oft eher als wir Menschen, zu welcher Person sie
sich hingezogen fühlen. Oftmals sind widerspenstige Pferde mit wen Sympathie für diesen einen Menschen gerade für diesen eine Herausforderung. Aus einer solchen Konstellation entsteht leider nicht
immer eine dauerhaft glückliche Beziehung.
Fühlt sich ein Mensch hingegen auf Anhieb zu einem Tier hingezogen, vertraut er ihm auf unerklärliche Weise ohne Nachzudenken, so kann daraus eine lebenslange, glückliche Partnerschaft werden, die
auch kleine und größere Unannehmlichkeiten oder „Beziehungs-Schwierigkeiten“ nicht grundsätzlich erschüttern.
Grundsätzlich können Pferderassen nach ihrer biologischen Herkunft (Nordpferd/Südpferd), ihrem Temperament(Kaltblut, Warmblut, Vollblut), ihrer kulturellen Herkunft (arabisch, spanisch, englisch...),
ihrer Größe (Pferd oder Pony), ihrer Eignung und Verwendung (Reitpferd, Voltigierpferd, Freizeitpferd, Fahrpferd, Springpferd, Rennpferd, Gangpferd, Traber, Arbeitspferd) unterschieden. Daneben gibt
es jede Menge zufällig oder absichtlich gezogene Rassemischungen mit individuell sehr unterschiedlichen Eigenschaften.
Jedes Tier hat seine eigene Persönlichkeit; dennoch gibt es rassegebundene Eigenschaften, die die Mehrzahl der Tiere einer Rasse auszeichnen. Dazu gehören Qualitäten wie eine bestimmte Größe, ein
bestimmter Körperbau, ein bestimmtes Maß an Temperament, Kooperationsfähigkeit, Ausdauer, Stärke oder auch Nervenstärke.
Viele Pferderassen sind sehr homogen, die Individuen ähneln einander nicht nur äußerlich, sondern auch in ihrem Charakter sehr. Dazu gehören traditionelle Rassen wie Haflinger oder Fjord-Pferde, die
Kaltblutrassen oder auch das Arabische Vollblut. Eher selten gibt es in diesen Rassen Tiere, die dem Rassebild nicht zumindest für ein Minimum entsprechen.
Andere Rassen bringen sehr unterschiedliche Individuen hervor. Teilweise wird das durch verschiedene Zuchtrichtungen gefördert (Farbzuchten, Gangeigenschaften, Temperament) oder liegt in der
Entstehungsgeschichte der Rasse aus anderen Rassen begründet. Solche eher inhomogenen Rassen sind oft die eher „jungen“ Züchtungen (Arabo-Haflinger), die weniger auf Qualität gezüchteten, oftmals
aufgrund der hohen Nachfrage züchterisch weniger gut betreuten „Moderassen“ (Tinker) oder Pferde aus verschiedenen Zuchtgebieten mit unterschiedlichen, oft kulturell bedingten Schwerpunkten (z.B.
beim Isländer oder Araber).
Nur wenige Rassen werden ausdrücklich und sehr konsequent hinsichtlich Typ, Temperament/Charakter und Gesundheit selektiert. Dies ist z.B. der Fall beim Highland Pony. Nur Tiere mit streng begrenzten
äußeren und inneren Merkmalen werden zur Zucht zugelassen. Konsequent ausgeschlossen werden Tiere mit gesundheitlichen Problemen (z.B. Sommerekzem) oder Typabweichungen (Scheckzeichnung, weiße
Abzeichen).
Letztendlich kommt diese Auswahl nicht nur dem zukünftigen Käufer zugute, der die Zuchtabsichten des Züchters klar nachvollziehen kann, andererseits profitieren die Tiere der jeweils nächsten
Generation durch größtmögliche Vermeidung vererbbarer Krankheiten oder Mängel von dieser strengen Zuchtwahl.
Dem Käufer bleibt es letztendlich überlassen, sich einen Überblick über die verfügbare Rassevielfalt zu verschaffen.
Noch vor 50 Jahren gab es in Deutschland neben dem klassischen deutschen Reitpferdetyp der Rassen Hannoveraner, Holsteiner und ähnlichen im Grunde nur Reste der regional geprägten Kaltblutrassen und
Shetland Ponys für die Kinder.
Traditionelle Rassen wie Trakehner oder Senner, Schwarzwälder Kaltblut oder Ardenner waren durch Kriegfolgen oder wachsende Technisierung der Landwirtschaft fast verschwunden.
Noch heute stehen einige der alten Nutzpferde-Rassen auf der „Roten Liste“ der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen“ (GEH): Rottaler, Senner, Alt-Württemberger,
Leutstettener Pferd, Schleswiger Kaltblut, Rheinisch-Deutsches Kaltblut, Schweres Warmblut, Schwarzwälder Kaltblut sowie die regionalen Ponyrassen Dülmener, Lehmkuhlener und Arenberg-Leutkirchner
Pony als halbwild lebende Restbestände mittelalterlicher Kleinpferdrassen.
Die heute verfügbare Rassevielfalt aus aller Welt war noch undenkbar.
Erste „exotische“ Rassen kamen in den 1950er Jahren u.a. durch die Bemühungen einer Ursula Bruns nach Deutschland. Ganz langsam änderte sich nicht nur die Verwendungsweise des Pferdes vom Transport-
und Arbeitstier zum Freizeitpartner, sondern auch das Bild des Reiters vom „Herrenreiter“ zum Freizeitreiter.
Erstmals mit den Isländern gab es Pferde, die sowohl für Kinder und Jugendliche wie auch für Erwachsene geeignet waren.
Damit änderte sich auch die Einstellung zum Pferd. Die Tiere der neu eingeführten Rassen konnten zum Familienmitglied werden, mussten nicht nach Gebrauch abgegeben oder verwurstet werden.
Neue Rassen brauchten andere Haltungsformen. Ein importiertes Island Pferd wäre in einem Boxenstall nicht glücklich geworden. Im Zuge der Erweiterung der Rassevielfalt und der Änderung der
Einstellung zum Pferd kamen neue Haltungsformen auf. Der Tierschutzgedanke hielt zunehmend Einzug in die Pferdehaltung.
An dieser Stelle kann nicht auf die einzelnen Eigenschaften und Eignungen bestimmter Rassen eingegangen werden. Dazu sind der Rassen zu viele und die Bandbreite der Eigenschaften zu groß.
Nur soviel sei angesichts immer noch bestehender Vor-Urteile erwähnt: Nicht jede Ponyrasse ist für Kinder geeignet! Viele Ponys nutzen ihre erhebliche Intelligenz und überfordern ein Kind!
Nicht jedes Großpferd ist ein Springpferd, nicht jedes dem Stress eines Turniers gewachsen!
Auch als Gewichtsträger vermarktete Ponyrassen sind aufgrund ihres Körperbaus nicht uneingeschränkt für Erwachsene geeignet!
Verlasspferde sind nicht immer und bei jedem „bombensicher“! Selbst ein absolutes Verlasspferd kann mit einem anderen Reiter Ängste oder Unarten entwickeln, die in gewissen Situationen gefährlich
werden können.
Und noch ein Letztes:
Jedes Pferd gleich welcher Rasse und Persönlichkeit muss mit „seinem“ Menschen zusammen wachsen. Dazu braucht es Zeit. Das eine mehr, das andere weniger.
Selbst körperliche Eigenschaften können sich ändern - positiv oder negativ - wenn ein Tier in eine neue Umgebung zu einem neuen Menschen kommt. Darin liegen Gefahren und Enttäuschungen - aber auch
große Chancen für den, der bereit ist Zeit und Kraft zu investieren, um diese Schätze zu heben.