Lernvoraussetzungen


Wie lernen Pferde am besten?    (Einflüsse auf das Lernen von Pferden)


Wie weit ist der Lernprozess steuerbar?
Haben sie Spaß am Lernen?
Woher ist ihr Lernen motiviert?
Warum lernen sie manches gut, anderes weniger schnell?


Die Bedingungen für erfolgreiches Lernen wurden bereits weiter oben dargelegt.
Ein Pferd lernt nur, wenn seine Grundbedürfnisse nach Futter, Sozialkontakten und Sicherheit gesichert sind.
Vor allem muss es seinem Lernpartner vertrauen.
Eine Ausbildung, die rein auf Beherrschen aufbaut, scheint mir für das Pferd eher Stress zu bedeuten. Ein Pferd muss m.E. zunächst lernen, dass es seinem Menschen auch vertrauen kann, seinem Urteil trauen, ich ihm anvertrauen kann.
Es muss die Erfahrung machen, dass es bei ihm sicher ist.
Warum soll es das auf Anhieb glauben?
Jeder Herdenchef muss seine Führungsfähigkeit beweisen. Verliert der Chef in Gefahrensituationen die Nerven, werden die Herdenmitglieder sich einem bedachteren Führer anvertrauen, dessen Urteil sie anerkennen.
Vielleicht liegt hier die schwerste Aufgabe eines Reiters: er muss dem Pferd glaubhaft machen, dass man ihm vertrauen kann.
Doch hier stoßen zwei Reaktionswelten aufeinander: Der Mensch reagiert auf Gefahr wie ein Säugling oder ein Affe mit Klammerreflex, das Pferd braucht hingegen freie Bahn. Etwas, dass es in einer Gefahrensituation festhält und an der Flucht hindert, macht ihm Angst. Einen Strick reißt es durch, einen Menschen wirft es im Extremfall ab, wenn er klammert.

Traut der Reiter seinem Pferd und den eigenen Fähigkeiten nicht, so ist er für das Tier nicht glaubhaft. Angst überträgt sich - ein überlebenswichtiges Element des Herdenverhaltens. Ein ängstlicher Reiter kann auch das coolste Pony dazu bringen, überall Monster zu sehen. Manchmal werden wirklich welche da sein, die eine tatsächliche Gefahr darstellen. Dennoch muss der Reiter seinem Pferd beweisen, dass er es aus dieser Gefahr sicher heraus führen kann.

Fühlt sich ein Pferd bei seinem Menschen sicher, wird es seine Gesellschaft mögen.
Vertrauen ist also die Basis aller Zusammenarbeit. Fühlt es sich wohl, sind die Grundvoraussetzungen für Lernen gegeben. Dann wird auch bald das Pferd die Führung übernehmen und Austesten, Erkunden, Versuchen,  solange der Mensch ihm keine Grenzen setzt oder seine Aktionen in konstruktive Bahnen lenkt.
Sind Situation, Methode und Vorgehen des Lehrens und Lernens dem Pferd angemessen, dann sind Erfolge möglich.
Erfolge ermöglichen durch das angesprochene Selbstbelohnungssystem weitere, bessere Erfolge. Vielleicht ist es dies, das ein Springpferd zum Springen bewegt, obwohl es sicherlich körperlich sehr (zu) stark beansprucht wird. Freude und Lust fahren die Schmerzempfindlichkeit herunter. Das Pferd wird weiter machen können, obwohl es eigentlich in der Verantwortung des Reiters läge, seiner Leistungsbereitschaft Grenzen zu setzen.
Hier soll nicht jeder sportlichen Aktivität mit Pferden grundsätzlich widersprochen werden - wohl aber denjenigen, von denen bekannt ist, dass sie dem Pferd körperlich oder seelisch schaden.
Ein Pferd kann lernen, hoch, weit, lange oder viel zu springen, zu rennen, zu traben oder was auch immer wir von ihm verlangen wollen. Aber muss es das lernen?

Leider  beginnt der Ausbildungsweg eines Pferdes oftmals mit sehr negativen Erlebnissen, die nur noch Vermeidungslernen zulassen.
Andere Formen des Lernens sind unter Stress dann kaum noch möglich.

Bereits das Einreiten ist eine für viele Pferde wenig vertrauenserweckende Angelegenheit. Dabei muss es gar nicht so brutal zugehen wie in alten Cowboyfilmen. Auch physische oder psychische Überforderung wirken einem dauerhaften Lernwillen und Lernvermögen entgegen, erzeugen Stress und verhindern Lernen.
Selbst erfahrene Ausbilder verlangen von einem Pferd gelegentlich - und wenn nur aus Zeitdruck oder Fehleinschätzung  - an vielen Stellen zu früh zu viel.
Nicht nur rohe Pferde brauchen Zeit, das Erlebte zu verarbeiten und als Teil ihres Lebens zu akzeptieren. Die meisten Pferde bekommen - aus durchaus verständlichen, wirtschaftlichen Gründen des Ausbilders - nur wenig Zeit zum Lernen. Schnell sind dann entweder Pferd oder Reiter überfordert. Verantwortungsvolle Reiter suchen die Ursache bei sich selbst und suchen den Ausbilder ein ums andere Mal auf um Unterricht zu nehmen oder korrigieren zu lassen, weniger verantwortungsvolle Besitzer verkaufen ihr Pferd, von dem sie Anderes erwartet haben, und suchen ein neues.

Pferde verstehen viele unserer Handlungen vermutlich als Aggression, denn sie haben kein anderes Erklärungsmuster. Nur verstehen sie nicht, wofür sie bestraft werden. Aggressivität wird im sozialen System durch Zufügung von Schmerz oder soziale Enttäuschung herausgefordert. Ausgelebte Aggressionen nehmen meist die Form schmerzhaften Abwehr- oder Angriffsverhaltens an.
Aggression ist kein Trieb; Aggression muss - wie Fluchtverhalten - nicht spontan ausgelebt werden, weder beim Menschen noch beim Tier. Das Pferd kann Schmerzeinwirkung - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - jedoch nur als Aggression des Verursachers interpretieren. Ohne einen Zusammenhang mit vorausgegangenem eigenen Verhalten jedoch wird es die vermeintliche Aggression (Schmerzen im Maul, vom Sattel, vom Gewicht des Reiters, durch Sporen etc.) nicht verstehen und nicht richtig interpretieren können. Der Mensch hat vielleicht gar keine Aggression gemeint, das Pferd sie aber verstanden und kann sich nicht mit dem eigenen Verhalten in Einklang bringen. Das Tier reagiert, wie es in der Natur auch auf Aggression reagieren würde: mit eigener Aggression (Treten, Beißen) oder Flucht.

An dieser Stelle sollte über die grundsätzliche Beziehung zum Pferd nachgedacht werden und damit wird es wieder „philosophisch“:
Darf man einem Pferd  überhaupt zumuten, unter wirtschaftlich geprägten Voraussetzungen lernen zu müssen?
Gibt man es in die Hände eines Ausbilders- und sei er noch so verständnisvoll und kompetent -  so entsteht zwangsläufig Zeit- und Erfolgsdruck. Kann in gewerblichen Ausbildungssystemen jene motivierende Kooperation, die Lernen ermöglichende soziale Beziehung zwischen Pferd und Ausbilder entstehen?
Oftmals ist es nicht einmal der gleiche (fremde) Mensch, der füttert, mistet, putzt, sattelt, mit dem Pferd Bodenarbeit trainiert und sich schließlich auf seinen Rücken setzt.
Die Arbeitsteilung zwischen Spezialisten in Haltung und Ausbildung ermöglicht es dem Pferd kaum, eine ausreichend tragfähige soziale Beziehung zu seinem Ausbilder aufzubauen. Das wäre eigentlich eine Voraussetzung für optimales Lernen.
Müsste dann die Konsequenz sein, dass jeder sein Pferd selbst ausbilden muss?
Dürfen dann nur Leute Pferdeausbildung übernehmen, die nicht kommerziell denken müssen, nicht auf Zeit arbeiten müssen und gleichzeitig Vertrauensperson für das Pferd sein können?