Steppentiere


Das Pferd ist in seiner Stammesentwicklung über Jahrmillionen zu einem hochspezialisierten Steppentier geworden. Seine Bedürfnisse sind geprägt von diesem Lebensraum.
Die biologischen Voraussetzungen des Pferdes kommen auch unter der Obhut des Menschen zum Tragen. Sie bringen sie schon als junge Fohlen genetisch fixiert mit. Sollen Pferde gesund und artgerecht leben, müssen wir uns an diesen Anlagen orientieren und ihre Haltung daran anpassen.

Sicherlich können Pferde, die als Nutztiere dienen sollen, nicht mehr wild in großen Arealen gehalten werden wie die letzten Wildpferdbestände russischer Steppen, die nachgezüchteten und ausgewilderten  Wildpferde Polens, die letzten Bestände ursprünglicher Rassen in Russland, Portugal, Nordamerika oder England, die verwilderten Hauspferde Nordamerikas oder Australiens.

Mitnichten aber müssen Pferde so leben wie es Jahrhunderte oder Jahrtausende üblich war: in engen Ställen, ohne Kontakt zu Artgenossen und ohne die Gelegenheit, sich frei zu bewegen.


Das Steppentier Pferd sollte auch in Obhut des Menschen annähernd so leben, wie es das in freier Natur tun könnte. Je weiter die Pferdehaltung sich von diesem Ideal entfernt, umso größer ist die Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit des Tieres.
Nicht alle möglichen Formen und Kompromisse der Pferdehaltung können hier dargestellt und erörtert werden. Es sollen vielmehr aus dem Wissen über die Biologie des Pferdes Rückschlüsse auf wünschenswerte Haltungsbedingungen gezogen werden.
Wir wollen uns dem Ideal der Haltungsform nähern, die dem Tier die besten Lebensvoraussetzungen bieten kann. Dazu gehören neben Stall und Weide vor allem auch Fragen zu Futter und Betreuung. Weiterhin fließen Erfahrungen aus der Praxis der täglichen Pferdehaltung ein.
Die Eventualitäten der Pferdehaltung (die theoretisch und statistisch eigentlich nie, praktisch aber immer vorkommen) sowie den Voraussetzungen zum Erwerb eines Pferdes ergänzen die Überlegungen.


Aus den genetischen Anlagen der Pferde ergeben sich für ihre Haltung wichtige Anforderungen.
In der Geschichte wurden die ererbten biologischen Voraussetzungen der Pferde meist wenig berücksichtigt. Im Gegenteil: man versuchte über lange Zeit, Pferde ohne Rücksicht auf deren eigene Bedürfnisse in den Alltag des Menschen zu integrieren, damit sie ihm nach seiner Vorstellung dienten.
Die Leistung der Pferde in der Geschichte und für den Fortschritt der Zivilisation ist nicht zu verachten. Dennoch  dankte der Mensch es dem Pferd selten mit richtiger Haltung oder gar Sorge um sein seelisches Wohl.
Bei den Menschen vom Land hatten es Arbeitstiere vergleichsweise gut. Sie mussten zwar viel arbeiten, lebten aber auch so gut wie man es ihnen bieten konnte. Die Pferde stellten den ganzen Stolz und Reichtum einer Bauernfamilie dar.
Auch im Militär kam man nicht umhin, Pferden ausreichend Fürsorge angedeihen zu lassen. Die Beschaffung und Ausbildung guter Militärpferde war zu aufwendig, um leichtfertig ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Problematisch wurde die Pferdehaltung vor allem in jener Phase der gesellschaftlichen Entwicklung, als das Wohl des Einzelnen, der Verdienst des Besitzers in den Vordergrund rückte. So wenig man in Verkehrswesen, Industrie, Bergbau oder Landwirtschaft auf Gesundheit und Rechte der Arbeiter Rücksicht nahm, so wenig wurden auch die Pferde geschont. Letzendlich drehte sich alles um den Profit. Pferde wurden möglichst kostengünstig untergebracht und gefüttert. Zeitweise war es leichter ein krankes Pferd zu ersetzen als es mit hohem Kostenaufwand zu pflegen.

Mit der Trennung der Arbeitswelt vom privaten Leben kam der Anspruch des Menschen, Reitpferde möglichst sauber und handlich unterzubringen. Pferdepfleger waren für die Versorgung zuständig, der Herr kam nur zum Reiten und übernahm ein fertig gestriegeltes und gesatteltes Pferd.
Pferde wurden nicht mehr mit dem übrigen Vieh auf die Wiese geschickt, sondern jederzeit greifbar, immer sauber und stehts zu Diensten in „modernen” Ställen untergebracht.
Vor allem in der in den 1960er Jahren aufkommenden Freizeitreiterei setzen sich Boxenställe mit glänzenden Stallgassen durch. Reiten galt als Elitesport, entsprechend sollte das Ambiente sein.

Wenig Rücksicht nahm man auf die Bedürfnisse der Pferde. Die Nachfahren wilder Steppenrenner wurden eingesperrt. Man weiß es inzwischen besser. Die Bedürfnisse der Pferde sind heute bekannt.
Leider leben Pferde immer jedoch häufig noch gegen ihre Natur in Einzelboxen statt in einer Herde, stehen 24 Stunden pro Tag an einem Fleck statt viele Kilometer zu wandern, bekommen ihr Futter dreimal täglich serviert statt es über viele Stunden selbst zu suchen, atmen geheizte und staubige Stallluft statt Frosthauch und Frühlingsbrise, stehen im eigenen Mist, leiden unter falscher Fütterung und Krankheiten durch mangelnde Bewegung.
Ihr Sozialkontakt ist auf die Kommunikation des Reiters über Sporen und Zügel reduziert, statt 24 Stunden des Tages in der Rangordnung einer Herde zu leben.

Gute Pferdehaltung berücksichtigt die Bedürfnisse der Tiere.

Die Mindestvoraussetzungen guter Haltung sind anhand weniger Punkte grundsätzlich zu beurteilen:

Pferde sind Herdentiere und müssen mindestens zu zweit gehalten werden. Ideal sind Herden aus mehreren Stuten und Fohlen oder auch Wallachen. Auch Hengste dürfen nicht alleine gehalten werden.

Pferde sind Wanderwild. Sie brauchen 24 Stunden freie Bewegung. Sie müssen wenigstens in ihrem eingeschränkten und künstlichen Lebensraum über ein Minimum an Freiheit verfügen, um ihren individuellen Bedürfnisse nachgehen zu können.

Pferde sind Fluchttiere. Ihr Körper ist auf kurzfristige Hochleistung vorbereitet. Sie brauchen frische Luft und Wetterreize, um gesund zu bleiben. Sie brauchen eine Unterbringung ohne Verletzungs- und  Ausbruchsgefahr.

Pferde sind Weidetiere. Sie brauchen raufaserreiches Futter guter Qualität über den ganzen Tag, wenigstens in vielen kleinen Portionen

Pferde sind Steppentiere. Sie sind an wechselnde Temperaturen angepasst. Sie brauchen die Reize der Jahreszeiten. Da sie aber in Menschenhand nicht mehr wandern und über ihren Aufenthaltsort selbst entscheiden können, brauchen sie Schutz vor Wetterextremen.

Pferde sind Tiere der freien Landschaft. Sie brauchen Weitblick, Spielraum, Bewegungsfreiheit, Sicherheit durch die Möglichkeit, ihre Umgebung zu beobachten und Gefahren auszuweichen.

Bei den Wildpferde regelt die Natur Leben und Überleben der Herde. In menschlicher Obhut gibt es keinen natürlichen Kreislauf des Lebens mehr. In der Wildnis nicht mehr lebenstüchtige Tiere überleben dank Fütterung und Schutz. Daher ist ihnen tierärztliche Betreuung und Pflege bei Krankheit oder Verletzung zu gewähren.

Wildpferde sind neugierig, lernfähig und anpassungsfähig. Sollen sie in der Zivilisation überleben, müssen sie in diesem Umfeld Erfahrungen sammeln und lernen können.