Wanderwild


Pferde sind Wanderwild: Haltungssysteme: Stall und Auslauf

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Stallhaltung und Freilandhaltung. Dabei gibt es eine Vielzahl von Mischformen, Abweichungen aufgrund örtlicher Gegebenheiten und individuellen Gestaltungsmöglichkeiten.
Alte und neue Ställe in vorhandenen Gebäuden, separate Stallanlagen, halboffene Hütten oder Stallzelte  auf einer Wiese bieten den Tieren Schutz vor den Unbilden der Witterung.
Tierschutzwidrig ist mit Rücksicht auf die Gesundheit der Tiere die Haltung ohne Wetterschutz - sowohl im Winter wie auch im Sommer.

Früher wurden Arbeits- und Reitpferde häufig in dunklen Ställen gehalten. Boxen oder Laufställe gab es noch nicht. Die Arbeitspferde hatten tagsüber so viel Bewegung, dass ihnen daran nicht mangelte. Artegerecht war das dennoch nicht, denn ihre Instinkte konnten sie nicht ausleben. Sie konnten weder Kontakt mit Artgenossen aufnehmen, noch gegenseitige Fellpflege betreiben, miteinander spielen, sich stellen oder legen wie ihnen gerade war. Manche Pferde durften mit den Rindern auf die Wiese, konnten dort vielleicht auch mit einem anderen Pferd Kontakt haben. Sicher haben sie aber besonders im Winter, wenn die Weiden nicht genutzt werden konnten, den freien Umgang mit anderen Pferden vermisst.

Die Ständerhaltung ist seit geraumer Zeit verboten. Dabei wurden die Pferde in engen „Ständern” untergebracht, in denen sie Tag und Nacht angebunden mit dem Kopf zur Wand standen und sich kaum rühren konnten. Die Pferde hatten keine Sozialkontakte, dagegen oftmals Stress durch die Nähe eines Artgenossen im Nachbarständer.
Ein Pferd hatte im Ständer niemals die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, sich gemütlich hinzulegen oder mit anderen Pferden zusammen zu sein. Verhaltensstörungen und Gesundheitsschäden waren die Folge.
Pferde können nicht im Stehen schlafen, auch wenn man das früher glaubte. Sie können im Stehen dösen und entspannen. Die lebensnotwendige Tiefschlafphase ist nur im entspannten Liegen auf der Seite möglich. Dazu brauchen Pferde Platz, einen trockenen Boden und eine sichere Umgebung. Wenn Pferde Angst haben oder sich nicht sicher fühlen, werden sie sich nicht zum Schlafen hinlegen.
Gefüttert wurde in für Pferde nicht physiologischer Halshaltung in Futterkrippen am Kopf des Ständers.

Pferde in Boxenhaltung leben nicht artgerecht. Diese Haltungsform kam mit den Reitställen in Mode. In einer Box kann sich ein Pferd zwar um sich selbst drehen, hinlegen und manchmal auch in die Stallgasse oder nach draußen schauen. Es hat aber weder die notwendige Bewegungsfreiheit noch die Möglichkeit, sich ausreichend mit anderen Pferden zu beschäftigen. Besonders die Fütterung bedeutet in Boxenställen oft großen Stress für die Tiere. Niemals können alle Pferde entsprechend ihrer Rangordnung nacheinander gefüttert werden, einzelne Tiere fressen, während andere zusehen oder zuhören müssen. Stress entsteht außerdem durch die aufgezwungene Nähe zu einem nicht geliebten Artgenossen oder dem unterbundenen Kontakt zum Kumpel in der Nachbarbox..
Die Fütterung kann meist von einer Stallgasse aus erfolgen, ohne die Boc betreten zu müssen. Das Betreten der Box würde bei einem zur Fütterungszeit aufgeregten oder futterneidischen Pferd auch nicht unbedeutende Risiken für den Pfleger mit sich bringen.
Heuraufen können in individueller Höhe angebracht werden, haben jedoch den Nachteil, dass Staub aus dem Futter dem Pferd in die Nase kommt. Eine anatomisch sinnvolle Fütterung erfolgt auf dem Boden oder in sehr geringer Höhe, damit die Tiere eine Körperhaltung einnehmen, die der des Grasens ähnelt. Leider können Boxenpferde in dieser Haltung dann jedoch hinter den Wänden ihres Stalles nicht wie bei einem Weidepferd ihre Umgebung rundum beobachten.
Reine Boxenhaltung sollte nur in Ausnahmefällen (Fütterungsprobleme oder Krankheiten) vorkommen. Boxpferde brauchen immer Gelegenheit zu freier Bewegung mit anderen Pferden.


Eine Haltung in der Herde mit frei zugänglichem Stall, mit Auslauf und den Bedürfnissen angepasstem Weidegang entspricht den Bedürfnissen der Tiere am Besten. Hier können sie ihren Aufenthaltsort individuell bestimmen. Beobachtungen zeigen, dass Pferde sehr individuelle Bedürfnisse nach Schutz haben.  Wenn auch der Toleranzbereich hinsichtlich der Außentemperatur bei Pferden groß ist - sie ertragen sowohl große Hitze wie auch große Kälte - so gibt es doch das Bedürfnis nach Schutz vor Temperaturextremen  und Wetterkapriolen.
    Während Südpferderassen (Araber, Lusitano etc.) hohe Temperaturen eher ertragen als typische Nordpferderassen (Highland Pony, Norweger etc.), ist es bei niedrigen Temperaturen genau umgekehrt.  Viele Ponyrassen mögen kühleres Wetter lieber als heiße Sommertage. Sie lassen sich freiwillig zuschneien und stehen auch gerne mal im Regen. Allerdings sollte man daraus nicht schließen, dass sie keinen Schutz brauchen. Man kann durchaus sehr unterschiedliche Verhaltensweisen beobachten. Dem einen Pony macht Regen viel weniger aus als Kälte, ein anderes liebt den Wind, während sein Kumpel sich lieber geschützt unterstellt.

Viele Pferdebesitzer haben Angst, ihr Pferd könnte sich in einer Herde verletzten.
Diese Angst ist nur bedingt berechtigt.
Vor allem in der Eingewöhnungsphase sollen die Tiere natürlich genug Platz haben. Sie müssen ihre Rangordnung klären. Jedes Tier musst die Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen, Rangordnungskämpfen auszuweichen, zu fliehen. Nach kurzer Zeit wird sich ein stabiles und mehr oder weniger harmonisches Herdenleben entwickeln. Dennoch muss jedes Pferd genug Platz haben, um ranghöheren Tieren ausweichen zu können. Vor allem muss ausreichend Liegefläche und ruhige Futterplätze vorhanden sein.
Bei den robusten, in einer Herde aufgewachsenen Ponys ist die Integration eines neuen Tieres in eine bestehende Herde meist sehr problemlos. Innerhalb kürzester Zeit ist geklärt, wer der Chef ist und das ist dann auch für alle klar. Bereits die erste Nacht verbringen die Tiere oft dicht zusammen und sind froh, nicht alleine zu sein.
Dem Menschen gegenüber verhalten sich Tiere aus einer Herde klarer und ruhiger. Sie haben das natürliche Rangordnungsverhalten gelernt und in der Herde ausgelebt. Das Pferd ist entspannter und der Mensch kann die Regeln der Herde selbst anwenden. Wenn es die Regeln der Herde kennt,  ist das Pferd viel umgänglicher.

Eine Herdenhaltung in Freiheit kann heute nur noch selten realisiert werden.
Selbst die seit dem 14. Jahrhundert weitgehend ohne menschlichen Einfluss lebenden Dülmener Wildpferde können in ihrem eingeschränkten Areal im Meerfelder Bruch bei Dülmen/Westfalen nicht vollkommen ohne die Unterstützung des Menschen leben. Um die Art zu erhalten, muss der Lebensraum dieser Pferde vor einer Übernutzung bewahrt werden. In kalten Wintern wird Heu zugefüttert. Es gibt aber keine tierärztliche oder hufpflegerische Versorgung. Kranke Tiere überleben nicht. Damit keine tödlichen Rangordnungskämpfe vorkommen, werden die jungen Hengste im Alter von ca. einem Jahr aus der Herde gefangen und versteigert. Die Tiere haben bis zu ihrem Einfangen keinerlei näheren Kontakt mit Menschen und müssen diesen dann ohne Anleitung durch die Mutter lernen. Die jungen Tiere können - bei verständiger Behandlung - gute Kinderreitpferde oder Kutschpferde werden, wenn sie sich erst einmal an die Anwesenheit und Ungefährlichkeit ihrer Menschen gewöhnt haben.
Auf Island werden Pferde noch halbwild gehalten. Die Jungtiere wachsen halbwild in ihrer Herde auf. Die Zucht ist allerdings geplant und auf das Eingreifen des Menschen ist nicht zu verzichten.
In wenigen Auswilderungsprojekten leben Rückzüchtungen des europäisch-asiatischen Urwildpferdes (Tarpan; Przewalski-Pferd) mehr oder minder sich selbst überlassen in Freiheit. Sie werden jedoch wissenschaftlich beobachtet und die Lebensräume teilweise touristisch genutzt.


Eine nach aktuellen Erkenntnissen der Verhaltensbiologie und der Physiologie artgerechte Haltung für Hauspferde ist ein geschützter Laufstall mit verschiedenen Funktionsbereichen.
Mindestanforderungen sind mindestens ein Artgenosse, ausreichende Bewegungsmöglichkeit in der Herde, ein frei zugänglicher Wetterschutz, ein trockener Liegeplatz, Fress- und Tränkeplätze.
So können sich die Tiere je nach Bedürfnis aufhalten. Jederzeit sollte ein Auslauf unter freiem Himmel zugänglich sein. Einzelne Pferde können sich in der Herde aufhalten oder zurückziehen. Alle Tiere müssen immer an ihre Futter- und Tränkeplätze kommen. Es muss ein wirksamer Wetterschutz vorhanden sein. Jedes Tier muss die Möglichkeit haben, sich in Ruhe und trocken legen zu können. Die Zäune müssen der Größe und dem Verhalten der Tiere angepasst sein, dürfen keine Verletzungsgefahr bieten und müssen Fremden wirksam den Zutritt versperren. Die Versicherungen treten bei Schäden nur ein, wenn die Zäune nachweislich in Ordnung waren. Je nach Gegend wird man dafür sorgen müssen, dass Spaziergänger oder Kinder die Tiere nicht über einen Zaun hinweg füttern können. Das führt nicht nur zu Koliken (Brot, Äpfel), Vergiftungen (abgerissene Zweige vom Wegesrand) und Prügeleien, sondern auch zu schlechten Manieren bei den Pferden. Um Futter streitende Pferde fressen schnell aus Gier Dinge, die sie unter normalen Umständen sorgfältig aussortieren würden. Hecken bieten hier einen gewissen Schutz. Wo das nicht möglich ist, hilft ein doppelter Zaun, durch den die Tiere nicht direkt erreicht werden können.
Futteranlagen sollten sauber und bodennah sein. Sie düften keine Verletzungsgefahr bergen, denn in der Herde wechseln die Tiere oft ihre Futterstelle. Rangniedrigere Tiere müssen den ranghohen ausweichen und dennoch in Ruhe ausreichend Futter aufnehmen können.

Moderne, innovative Pferdehaltungen sind ausgeklügelt gebaut, besitzen vielenelektronisch gesteuert. und regen die einzelnen Tiere zu Bewegung an, teilen ihnen automatisch individuelle Futterportionen zu, regeln den Zugang zu Ruheplätzen und Weiden. Überwachungskameras und Schaltung über SMS oder Internet ermöglichen die Betreuung der Pferde über große Distanzen.
Auf diese Weise können ohne großen Personalaufwand große Herden und viele Pferde in einer Anlage gehalten werden. Es werden Pflegekräfte gespart und Abweichungen von der Norm automatisch erkannt.  Ruft ein Pferd seine Futterportion nicht ab, kann der Computer gleich Alarm schlagen. Den Tierarzt muss der Stallbetreiber aber noch selbst rufen.
Der regelmäßige Kontakt zu den Tieren ist in derart modernen Haltungen jedoch nicht mehr gegeben. Die Tiere werden es schwer haben, „ihren” Menschen rechtzeitig mitzuteilen, dass etwas nicht stimmt. Die Menschen wiegen sich vielleicht in der trügerischen Sicherheit einer computergesteuerten Anlage. Sie kann nicht ersetzen, was der Mensch mit seinen Sinnen erfasst: Änderungen im Verhalten einzelner Tiere, ein verschwitztes Fell, ein schmerzerfüllter Blick, eine kleine Verletzung...oder nur das „Gefühl”, dass etwas nicht stimmt.

Im engen Zusammenleben mit seinem Freizeitpartner Pferd liegt für viele Menschen der eigentliche Reiz der Pferdehaltung.
Dazu gehören der intensive, tägliche Umgang mit den Tieren, die Arbeit im Stall, die Fütterung per Hand, die Gestaltungsmöglichkeit nach individuellen Bedürfnissen, aber auch die Unwägbarkeiten der Haltung in Eigenregie. Zäune, Stall und sonstige Anlagen müssen ständig gewartet, überdacht und ggf. Verändert werden. Futter muss beschafft, gelagert, vorbereitet werden. Mist muss entsorgt werden. Im Krankheitsfall ist kein Pferdepfleger vorhanden, der Besitzer muss selbst nachts nach dem Patienten gucken.
Das Jahr hat 365 Tage. Die Pferde wollen jeden Morgen ihr Frühstück, verschiedene Zwischenmahlzeiten,  das letzte Abendessen wenn der Krimi noch nicht zu Ende ist. Sie brauchen einen Toröffner für die Wiese und jemanden, der sie nach gewisser Zeit wieder einsammelt. Sie können ihren Mist nicht selbst wegtragen und die Einstreu nicht nachfüllen. Sie sind darauf angewiesen, dass jemand ihr Unwohlsein erkennt und richtig deutet. Den Tierarzt rufen sie auch nicht selbst an. Und wenn er kommt, wollen manche Pferde lieber gehen. Dann brauchen sie einen Menschen, dem sie vertrauen, damit sie der Tierarzt helfen kann.